Sprache

Unter Franckes Mitarbeiter Heinrich Milde (1676–1739), der für die Osteuropakontakte des Halleschen Waisenhauses und die Betreuung böhmischer Exilgemeinden zuständig war, entwickelte sich Halle zu einem wichtigen Druckort tschechischsprachiger religiöser Literatur. Schon vor dem Auftreten Mildes hatte sich in Halle auf Anregung Franckes ein Arbeitskreis von jungen Theologiestudenten aus Böhmen und der Slowakei gebildet, die die ersten tschechischen Übersetzungen christlicher Literatur zum Druck vorbereiteten. Zu ihnen gehörten Mátyás Bél (1784–1749) und Samuel Ondrejček, genannt Pellionis (1682–1736). Auch Milde wurde von sprachkundigen Studenten und Mitarbeitern am Halleschen Waisenhaus bei seiner Übersetzungstätigkeit unterstützt. Dazu zählten u.a. der aus Böhmen gebürtige Matěj Maček (um 1700–1768), der Tscheche aus Schlesien Johannes Krieger (um 1700–1761), die Schlesier Andreas Macher (1698–1762), Georg Sarganeck (1702–1743) und Johann Liberda (1700–1742) sowie die Slowaken Martin Bohurad († 1736) und Ján Záskalický († 1726). Nach der Rückkehr in ihre Heimat förderten sie weiterhin die Herausgabe böhmischer Drucke in Halle und sorgten für deren Verteilung unter der protestantischen Bevölkerung.
 

Heinrich Milde wurde 1676 in Schlagenthin im Herzogtum Magdeburg geboren. Nach dem Schulbesuch in Brandenburg und Berlin und einer Stellung als Informator in Zolchau kam er 1699 nach Halle. Hier fand der Zweiundzwanzigjährige im Halleschen Waisenhaus Aufnahme als Informator und begann ein Theologiestudium.  Bis 1711 unterbrach er aus gesundheitlichen Gründen mehrmals sein Studium und nahm eine Informatorenstelle im südlichen Vogtland an, um von dort aus mehrere Reisen ins nahe gelegene böhmische Karlsbad zu unternehmen. In diese Zeit fallen seine ersten tschechischen Sprachstudien und er berichtet von Bücherschenkungen, die den  Grundstein für seine umfangreiche Sammlung tschechischer Bücher bildeten.

1711 kehrte Milde wieder nach Halle zurück und setzte seine Sprachstudien fort. Neben dem Tschechischen beschäftigte er sich mit der russischen und der sorbischen Sprache und gewann Einblicke in die ungarische, estnische und lettische Sprache. Oftmals geschah das durch Kontakte zu  Studenten aus dem slawischen Raum. Mit einigen verband ihn eine lebenslange Freundschaft, wie z. B. mit dem Slowaken Mátyás Bél (1684–1749) und dem aus dem Baltikum stammenden Caspar Matthias Rodde (1689–1743).

In den Folgejahren wurde er einer der engsten Mitarbeiter Franckes, der für die Pflege der slawischen Sprachen und die im Waisenhaus gedruckten Übersetzungen verantwortlich war.  Milde kümmerte sich um die Edition und den Vertrieb der slawischen Drucke, wobei die tschechischen Drucke den größten Anteil ausmachten. In hohen Auflagen  wurden religiöse Schriften zur Unterstützung der Protestanten in den Habsburgischen Ländern sowie für die böhmischen Exulanten in der Lausitz gedruckt.

Nach seinem Tod im Jahr 1739 hinterließ er zum Dank für die ihm erwiesenen Wohltaten seine etwa 400 Bände umfassende Büchersammlung der Bibliothek des Halleschen Waisenhauses, darunter zahlreiche tschechische Drucke.

Blätter aus einem Sammelalbum von Heinrich Milde

Sammelalbum von Heinrich Milde - Darstellung eines Kampfes von Afrikanern mit einem Elefanten
Sammelalbum von Heinrich Milde

Sammelalbum Heinrich Mildes. 18. Jh.
Halle, Franckesche Stiftungen: BFSt: 177 C 53

In diesem Album sammelte Milde Karten, Stammbäume, Titelblätter, Porträts und Zeichnungen, die er aufklebte und mit Notizen versah. Die Seite zeigt ein Aquarell mit der Darstellung eines Kampfes von Afrikanern mit einem Elefanten. Auf der Rückseite der Zeichnung notierte Milde: »Hierin sandte der Herr Insp[ektor] Sarganeck das Böhmische Religions-Gespräche, welches anno 1736 in 12 gedrucket ward. Gott helfe, daß die liebe Böhmischen Kirche von denen Jesuiten befreyet, und aus den Klauen des Antichrists gerißen werde, zu Seinen Lob und Preis, Halleluja, amen!«

Gemeint ist das Buch Obhagenj uc̆enj Ewangelium swateho (Verteidigung der Lehre des Heiligen Evangeliums), das 1736 im Verlag Gebauer in Halle erschien und von Georg Sarganeck (1702–1743) bearbeitet worden war. Es enthält einen umfangreichen Religionsdisput zwischen einem Protestanten und einem Katholiken, ein Gebet und drei Liedtexte sowie zwei Belehrungen.

Ein eingebundener Bestandteil dieses Notizbuches ist ein gedruckter Schreibkalender von 1679 (Alter und Neuer Schreib-Calender auf das Jahr nach der Geburt unseres HERRN JESu Christi MDCLXXIX.). Auf ihm sind fortlaufend die Tagebucheinträge Mildes vom 27.09.1718 bis zum 17.05.1720 niedergeschrieben. Einsetzend im Jahr des Antritts seiner Tätigkeit als Leiter des Übersetzerkollegiums zur böhmischen Bibel, enthalten sie insbesondere Bemerkungen zu seiner weitreichenden Korrespondenz, seinen persönlichen Kontakten sowie zu Literatur- und Lektüreangelegenheiten.

Tagebuch von Heinrich Milde.
Halle, 06.03.1718-10.02.1721
Halle, Franckesche Stiftungen: AFSt/H  A 57

Bereits 1721 verfasste Milde ein Testament, in dem er seine Bibliothek dem Waisenhaus vermachte. Als Zeugen fungierten zwei der engsten Mitarbeiter A. H. Franckes, Georg Heinrich Neubauer (1666–1726) und der Inspektor der Buchhandlung des Waisenhauses Heinrich Julius Elers (1667–1728). In einem dem Testament beigelegten Schreiben begründet er diese Entscheidung gegenüber seinen Geschwistern:

»Hertzl. Gel[iebte] Schwestern und Brüder,
Weil euch meine Bücher, die mehrentheils ausländische und frömbder Sprache sind, die mir auch großentheils Studiosi und andere guten Freunde geschencket haben, gar nichts nütze seyn können, so habe ich zu euch das feste Vertrauen, es werde euch diese Donatio inter vivos, da ich dieselbe dem Waysenhause, woselbst ich durch Gottes Gnade die meiste Zeit meines Hierseyns auf dieser königl. Preuß. Universität zu Halle meine Verpflegung gefunden, als ein Zeichen meiner Dankbarkeit schencke, im Geringsten nicht entgegen seyn. Wie bishero geschehen, wil ich ferner bey Gelegenheit des Lebens euch zu eurer Erbauung im Christenthum ferner Tractätlein schicken. Übrigens möget ihr euch die drei Schräncke, das Schlagefaß, die kleinen Lädgen zunutze machen, so gut ihr könnt …
Der Herr bereite uns alle zu einem seligen Todt um Christi willen, Halleluja!«

Zwölf Traktate der Böhmischen Brüder
Zwölf Traktate der Böhmischen Brüder - Personeneinträge

Diese kleinformatige Handschrift aus dem Besitz Heinrich Mildes birgt mehrere Besonderheiten: In ihr sind zwölf Traktate der böhmischen Brüder aus dem 16. Jahrhundert enthalten. Außerdem trugen von 1734 bis 1736 acht Personen Bibelsprüche in tschechischer Sprache in das Buch ein. Sie belegen eindrucksvoll die Kontakte, die Milde zu Studenten aus Böhmen, Schlesien und anderen slawischsprachigen Gebieten pflegte.

Handschriftenband mit zwölf Traktaten der böhmischen Brüder, 16. Jh.
Halle, Franckesche Stiftungen: AFSt/H  P 9

Der in Niedersuchau (Dolní Suchá) bei Teschen (Cieszyn) geborene Georg Sarganeck wurde nach seinem Studium in Halle 1728 als Konrektor nach Teschen berufen. Von 1730 bis 1736 war er Rektor der Lateinschule in Neustadt an der Aisch, wo er zahlreiche Reformen nach dem Vorbild der Schulen des Halleschen Waisenhauses veranlasste. 1736 kehrte er als Adjunkt des Inspektors am Pädagogium und Konrektor an der Lateinischen Schule nach Halle zurück. Neben dieser Tätigkeit war er aufgrund seiner Sprachkenntnisse ein wichtiger Mitarbeiter Mildes bei der Herausgabe tschechischer Drucke. So bearbeitete er die 1737 erschienene Cithara sanctorum und bereitete die zweite Auflage der böhmischen Bibel vor, die 1745 nach seinem Tod  erschien.
Sarganeck trat auch als Verfasser von Lehrbüchern hervor. Die hier gezeigte Übersicht diente der Vorbereitung auf den höheren Mathematikunterricht am Pädagogium in Halle.

Sarganeck, Georg: Die Geometrie in Tabellen Zur Bequemen und gründlichen Vorbereitung der Jugend Auf die gantze Mathematick. Zum Gebrauch In dem Paedagogio Regio zu Glaucha vor Halle [...]
Halle: Waisenhaus, 1739.
Halle, Franckesche Stiftungen: AFSt/S  A I 248

Bél betont in seinem Brief die Notwendigkeit einer Drucklegung der Bibel in böhmischer Sprache in Halle. Er erläutert seine Arbeit an der Revision der Übersetzung der böhmischen Brüderbibel unter Heranziehung verschiedener »europäischer« Versionen, um den ursprünglichen Sinn wiederzugeben. Er setzt sich dafür ein, auch für den böhmischen Bibeldruck das Format der Canstein-Bibel zu verwenden. Schließlich weist er auf Schwierigkeiten der tschechischen Orthografie, wie die korrekte Verwendung von diakritischen Zeichen, hin.

Brief von Mátyás Bél an August Hermann Francke.
Preßburg, 31.10.1720
Halle, Franckesche Stiftungen: AFSt/H  A 174 : 174

Der aus Liptau (Liptov) in der Slowakei stammende Martin Bohurad war ein Freund und Mitarbeiter Mildes an einer Reihe von tschechischen Drucken. Er war als Korrektor des böhmischen Bibeldrucks vorgesehen.
Nach der Rückkehr in seine Heimat wurde er 1724 zunächst Rektor in Velká Palúdzka und im selben Jahr Konrektor in Preßburg (Bratislava), wo er im Kreis bekannter Pietisten wie Mátyás Bél wirkte. In seinem Brief berichtet er über das Schicksal weiterer ehemaliger Studenten tschechischer und slowakischer Herkunft aus Halle und bittet um tschechische Traktate und Bibeln, um sie unter der Bevölkerung zu verteilen.

Brief von Martin Bohurad an Heinrich Milde.
Preßburg, 06.04.1725
Halle, Franckesche Stiftungen: AFSt/H  B 8 : 42

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Porträt von Jan Hus. Ölgemälde

Die Verfolgung der Lutheraner in Böhmen

Zwölf Traktate der Böhmischen Brüder - Personeneinträge

Heinrich Milde und seine Mitarbeiter

Frontispiz und Titelseite der 1722 in Halle gedruckten tschechischen Bibelausgabe

Der böhmische Bibeldruck

Francke: Glaubensweg

Der Verlag tschechischer Bücher in Halle